Verdrängt Englisch die deutsche Sprachkultur?

    Latein, Griechisch, Französisch: Wer sich früher gebildet und zeitgemäss ausdrücken wollte, bediente sich einer dieser Sprachen. Nun hat sich das Blatt gewendet. Eine Umfrage bei Jugendlichen hat gezeigt: Englisch ist das neue Latein. Einfacher, cooler, oftmals nicht so extrem wie das Deutsche.

    (Bild: pixabay) Geht die deutsche Sprachkultur verloren? Englisch ist im Trend.

    Das Thema der Anglizismen spaltet die Gesellschaft. Doch vor allem bei der Jugend nahm der Gebrauch der Anglizismen stetig zu und ist nun bei den meisten nicht mehr wegzudenken. Zu diesem sprachlichen Phänomen wurde im Februar anonym im Raum Baden eine nicht-repräsentative Umfrage an 16–23-jährigen jungen Erwachsenen geschaltet.

    90% der Befragten benutzen Anglizismen
    Auf die Frage, ob die jungen Erwachsenen in ihrem Alltag auf englische Synonyme zurückgreifen, antworteten 90% der Befragten mit «Ja», doch warum?
    «Es ist einfacher im Sprechfluss, weil man viel englischsprachige Inhalte (Videos, Serien, Bücher) konsumiert.»
    «Es verstärkt das Zugehörigkeitsgefühl unter Jugendlichen stark. Man wird als ‹cool› angesehen, wenn man englische Wörter benutzt.»
    «Englisch ist meine ‹comfort language› (Wohlfühl-Sprache), deshalb fühle ich mich manchmal auch wohler, gewisse Themen auf Englisch anzusprechen.»

    Einige der Befragten sagten aus, dass sie sich bei unangenehmen Themen oder in Situationen mit ihrem Partner/ ihrer Partnerin wohler fühlen, sich auf Englisch zu unterhalten. Die deutschen Synonyme würden härter und extremer klingen:
    «Generell würde ich auch sagen, dass Kommunikation in einer Beziehung auf Englisch einfacher ist.»
    «Es ist einfacher und manche Begriffe fühlen sich auf Englisch passender an, da die deutsche Bedeutung manchmal ziemlich extrem ist. Vielleicht verwendet man schneller die englischen Begriffe, weil man sie nicht so gut versteht.»

    Auch das Beherrschen des Englischen wird in der Berufswelt immer wichtiger und deshalb immer mehr gefördert. Es werden immersive Klassen angeboten, die den Unterricht ausschliesslich auf Englisch haben. Laut einigen Befragten führt dies aber auch zum Vernachlässigen der deutschen Sprache:
    «Da ich in der immersiven Klasse sehr oft mit Englisch konfrontiert werde, habe ich angefangen, unbewusst englische Wörter in meinen deutschen Sprachgebrauch einzubauen.»
    «Ich finde es schade, wenn es zu viele englische Begriffe werden oder sich mein Gegenüber nicht mehr so gut auf Deutsch artikulieren kann (was uns als Immersionsklasse immer häufiger passiert).»

    Geht die deutsche Sprachkultur dadurch verloren?
    70% der Befragten findet, dass das Englisch das Deutsch nicht verdränge:
    «Sie wird sogar bereichert. Die Sprache ist sowieso immer im Wandel. Grosseltern sprechen anders als Eltern und diese anders als wir.»
    «Deutsch wird sicher nicht sterben, aber der englische Einfluss wird wachsen. Französische Ausdrücke waren z.B. in der Vergangenheit viel häufiger. Das sind Erscheinungen, die meiner Ansicht nach mit der internationalen Lage zusammenhängen.»

    Dennoch sind nicht alle Befürworter des zunehmenden Gebrauchs von Englisch in der deutschen Sprache. 30 Prozent der befragten 16–23-Jährigen sehen den vermehrten Gebrauch als Verlust der deutschen Sprachkultur. Sie seien oftmals brüskiert, wenn sie die deutschen Synonyme vergessen:
    «Ich versuche alle Sprachen, die ich spreche, möglichst zu trennen, damit mein Wortschatz erhalten bleibt. Somit vermeide ich englische Wörter, wenn ich Deutsch spreche, obwohl mir Englisch deutlich leichter fällt.»
    «Es nervt mich etwas, wenn mein Gegenüber viel Englisch redet, da Deutsch nicht meine Muttersprache ist und ich mir dennoch Mühe geben, mir einen möglichst grossen Wortschatz anzueignen. Dazu finde ich, dass Leute, die das Englisch in anderen Sprachen einmischen, oftmals weniger ‹gebildet› wirken.»
    «Ich sehe das Problem weniger bei der deutschen Sprache, da diese in der Schule gut gelehrt wird. Das Problem liegt eher am Schweizerdeutsch, da dies nicht aktiv gelehrt wird und man es meist zu Hause spricht.»

    Lilly Rüdel

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